Packende Berichte zur DDR-Geschichte: die Zeitzeugin Sigrid Richter im Gespräch mit der Klasse.

Oral History erweitert das Geschichtsbewusstsein

Herr Hoffmann und Frau Richter erzählen ungeschminkte DDR-Erlebnisse.

Als die Schüler und Schülerinnen der Klasse 9a am Dienstag nach der ersten großen Pause in ihrer Klasse eintreffen, werden sie bereits erwartet. Neugierig und fragend mustern sie die beiden fremden Gesichter, bis den ersten wieder einfällt, warum ein lächelnder Mann und eine ältere Frau vor ihnen stehen: Das Zeitzeugengespräch. Nachdem Geschichtslehrerin Dina Achtermeier ihre Schüler begrüßt und die Anwesenheit von Dr. Frank Hoffmann und Sigrid Richter erläutert hat, ruhen 25 interessierte Blicke auf den Gästen, die am Pult der Klasse sitzen.


Frank Hoffmann vom Institut für Deutschlandforschung an der Ruhr-Universität Bochum leitet das Gespräch ein, indem er erklärt, dass er ein Projekt leitet, das Gespräche zwischen Zeitzeugen der DDR und Schülern ermöglicht. Nach einigen Hintergrundinformationen kommt auch die Zeitzeugin Sigrid Richter selbst zu Wort.


Sie scheint leicht nervös zu sein, durch die neugierige Stille im Klassenraum findet sie sich jedoch schnell in ihre Erzählung ein und fängt an von ihrem Leben zu berichten. Sie wurde in der DDR geboren, ist dort zur Schule gegangen und hat dort, nachdem sie die Möglichkeit bekam auf ein besonderes Internat zu gehen, ihr Abitur gemacht. Jedoch nicht auf dem Internat, denn das war zu landwirtschaftlich ausgerichtet, wie sie uns nostalgisch schmunzelnd erklärt. Bis zu ihrem Studium hat sie nie wirklich Probleme mit dem System, der Regierung oder der Mauer gehabt – so wie fast jedes Kind.


Während ihres Studiums auf Lehramt traf sie allerdings ihren Mann und damit veränderte sich ihr Leben grundlegend. Er hatte eine völlig andere Meinung in Bezug auf Politik und die DDR. Obwohl Fr. Richter schon vorher an dem System gezweifelt hatte, wollte sie sich nie dagegen auflehnen; denn wer früher auch nur in Ansätzen „faschistisch“ oder „antikommunistisch“ war, wurde augenblicklich von der Stasi verfolgt und bespitzelt.


Immer noch herrscht eine angenehme und atmosphärische Stille im Klassenraum, die Schüler sind so interessiert an Fr. Richters Vortrag, dass sie keine Fragen – die ausdrücklich erwünscht sind – stellen, nur um die Zeitzeugin nicht zu unterbrechen.


Als diese weitererzählt kommen wir zu einer sehr bedrückenden Zeit in ihrem Leben, denn sie erzählt wie und warum sie inhaftiert wurde. Ihr Mann hatte sie dazu überredet trotz des gemeinsamen Sohnes aus der DDR in den Westen zu fliehen. Obwohl sie die Aktion noch rechtzeitig abbrachen, erfuhr die Stasi, dass das Ehepaar Richter vorgehabt hatte „dem überlegen kommunistischen Vaterland den Rücken zuzukehren“. Getrennt von ihrer Familie und ihrem Mann, getrennt von ihrem Sohn, wurde sie erst in Untersuchungshaft und schließlich in ein Frauengefängnis gebracht.
Ein Satz, der uns verdeutlichte, dass es im Rechtssystem der DDR ohne Gerechtigkeit und Logik, dafür mit härtester Konsequenz und diktatorischer Kälte vor sich ging, war, dass ihr Anwalt zu Fr. Richter sagte: „Wir dürfen nicht über das Delikt sprechen.“ Die Frage ist worüber man sonst mit seinem Anwalt reden soll, wenn nicht über das Verbrechen, doch ihr Urteil stand fest. Vier Jahre seien, wie sie uns erzählte, noch wenig Strafe, denn die Mitarbeiter der Stasi, die sie in der U-Haft verhört hatten, hatten immer wieder angedeutet, dass mit zehn Jahren zu rechnen sei.
Nun gucken viele Schüler angewidert und abschätzig oder mitfühlend und traurig, je nachdem, ob man über die Stasi oder ihr Schicksal nachdenkt.


Fr. Richter fährt fort und komm zu dem wohl glücklichsten Ereignis, dass sie uns bisher berichtet hat: ihre Befreiung aus der Haft und ihre Flucht. Die BRD kaufte früher viele Gefangene der DDR frei, das Ehepaar Richter war ein Teil dieser Leute. Sie erzählt, dass sie so schnell durch die Grenzanlagen gefahren wurden, dass es in diesem Moment für jeden, der in dem Wagen saß, unbegreiflich und geradezu absurd war.


Selbstverständlich wurde sie vorher aus dem Gefängnis entlassen und diese Überquerung der Mauer erfolgte – mehr oder weniger unüblicherweise – legal. Ihr Sohn wurde ein paar Monate später ebenfalls in die BRD entlassen. Allerdings überquerten Vater und Mutter im November die Grenze, das Kind jedoch durfte nicht etwa zum Weihnachtsfest auch in die BRD, der zuständige Beamte in der DDR wollte schließlich nicht auch noch, dass die unerhörten Auswanderer ein glückliches Fest verbringen konnten.Auch an dieser Stelle schütteln viele Schüler den Kopf, viele können sich eine derartige Korruption, wie sie in der DDR geherrscht hat, nicht mehr vorstellen.


Fr. Richters Erzählung endet leider auch mit einem traurigen Ereignis: In den letzten Jahren wollten ihr Mann und sie noch mal „richtig leben“ und hatten sich ein eigenes Haus gekauft, er verstarb jedoch letztes Jahr urplötzlich an einer schweren Krankheit. Mit Tränen in den Augen und zitternden Händen beendet die Zeitzeugin ihre Biographie, alle Schüler gucken nachdenklich und man kann die Emotionalität im Raum spüren.


Kurz danach herrscht tosender Applaus, die Schüler bekennen Fr. Richter ihre Dankbarkeit für ihre beeindruckende Erzählung. Nach einer kurzen Fragerunde ist die Doppelstunde auch schon vergangen und Fr. Richter und Hr. Hoffmann verabschieden sich.


Zurück bleibt eine ziemlich beeindruckte 9a, die sich zum Großteil eifrig daran macht Fragebögen auszufüllen, in denen es darum geht, wie gut einem das Zeitzeugengespräch gefallen hat. In den meisten Fällen steht eine 1 bei der Benotung auf dem Blatt.

Text: Jessica Wilms (9a), Dina Achtermeier | Foto: Dina Achtermeier.

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