Bilder, die nachwirken
Persönliche Eindrücke der Gedenkstättenfahrt
Artikel aus der NRZ vom 23. Juni 2023
Moers. Wenn Lorenzo Breuer an Auschwitz denkt, fallen ihm die vielen Bäume ein, die heute dort wachsen. Sie stehen in einem so heftigen Kontrast zu dem Grauen, das vor mehr als 75 Jahren dort herrschte. Breuer (23) kennt Auschwitz gut. Er hat die Gedenkstätte oft besucht, weil das Moerser Gymnasium Adolfinum Jahr für Jahr eine Fahrt dorthin anbietet, so wie jetzt.
Am Dienstag ist die Gruppe von Schülerinnen und Schülern aus den 10. Klassen aus Polen zurückgekehrt. Breuer war wieder mit dabei, obwohl er längst kein Schüler mehr ist. Er studiert, doch bei den Fahrten will er unbedingt dabei sein. „Ich kann jetzt unsere Demokratie besser wertschätzen“, sagt er.
In den Konzentrationslagern von Auschwitz und Birkenau haben Handlanger der nationalsozialistischen Terrorherrschaft in Deutschland (1933 – 1945) über eine Million Menschen ermordet, die meisten der Opfer waren jüdischen Glaubens. Am Adolfinum in Moers erinnert eine Gedenktafel an die Opfer jüdischen Glaubens der traditionsreichen Schule. Damit die Erinnerung wach bleibt an die Morde, die Nationalsozialisten unter ihrem Diktator Adolf Hitler damals dort begangen haben, können die 10. Klassen dorthin fahren. Die Teilnahme ist freiwillig, wer nicht will, nimmt an einer Projektwoche teil. Doch es wollen viele mitfahren, sehr viele.
Hendrik Eller gehört dazu. Der 18-Jährige hat gerade sein Abitur am Adolfinum gemacht und ist, wie Breuer, ein Teamer. Das heißt, er gehört zu jenem Team, das die Fahrt nach Polen akribisch vorbereitet. Bis zu sechsmal treffen sich die Teamer mit den Zehntklässlern, es geht um Geschichte, um Antisemitismus aber auch um eine „emotionale Vorbereitung“, wie Eller sagt.
Wenn er an seine Besuche in der Gedenkstätte denkt, kommt ihm ein Bild vor Augen, das in der Ausstellung hängt: „Dort sind viele Koffer zu sehen, und es ist wichtig, sich klar zu machen, dass hinter jedem Koffer ein Schicksal steckt.“ Eller ist an Geschichte interessiert, das Wissen über den Nationalsozialismus ist für ihn wichtig. Als Zehntklässler ist er das erste Mal mitgefahren, jetzt war er als Teamer dabei.
Lorenzo Breuer, der Student, hat sich im Geschichtsunterricht mit Auschwitz befasst und Dokumentationen über den Massenmord gesehen. Doch der Bezug fehlte ihm, bis er das erste Mal im ehemaligen Vernichtungslager stand: „Man kann sich nicht vorstellen, was dort passiert ist, wenn man nicht da war.“ Er und auch Eller halten den Besuch für „persönlichkeitsbildend“.
Auswirkungen kann das auf ganz alltägliche Situationen haben, etwa in Gesprächen. „Ich achte jetzt mehr auf Sprache“, sagt Breuer. Eller meint zu den Besuchen in der Gedenkstätte: „Es ist zum Beispiel die Dimension des Vernichtungslagers Birkenau, diese Bilder wirken nach.“ Gespräche mit Zeitzeugen haben ihn bestärkt: „Ausgrenzung, Hass und Diskriminierung dürfen in unserem Leben keinen Platz haben.“
Die Fahrten zur Gedenkstätte Auschwitz und nach Krakau sind laut Adolfinum-Schulleiter Thorsten Klag keine klassischen Klassenfahrten. Das Projekt soll in jedem Fall fortgesetzt werden, und: „Wir sind sehr daran interessiert, dass die Fahrten unterstützt werden.“ Wer sich hier angesprochen fühlt, kann sich gern mit Klag in Verbindung setzen, die E-Mail-Adresse lautet sl@adolfinum.de.
Eindrücke von Mitfahrenden
Für mich ist die Polenfahrt ein essentieller Bestandteil der Schulzeit am Adolfinum geworden. Man sammelt so viele verschiedene Eindrücke, die einem die schrecklichen Ereignisse der NS-Zeit besser vor Augen führen als jeder Geschichtsunterricht es je könnte. Genau das macht das Projekt so wichtig, genau deshalb bin ich Teamer: damit so etwas nie wieder passiert.
Diese Fahrt zeigt auf, wie wertvoll unsere Demokratie ist und wie wichtig es daher ist, dass wir die Erinnerung an möglichst viele junge Leute weitergeben.
Für mich ist die Polenfahrt so bedeutsam, weil man sich dafür engagiert, dass diese schrecklichen Ereignisse niemals vergessen werden. Sie zeigt auch nochmal mehr, dass vielen jungen Menschen die Thematik am Herzen liegt und wie wichtig es ist, sich damit auseinanderzusetzen. Es wird Wissen vermittelt und Menschlichkeit gezeigt, eben auch, weil man lernt, wie wichtig das ist. Meiner Meinung nach ist die Fahrt eine Erfahrung, die jeder einmal gemacht haben muss.
Das Auschwitzprojekt ist weit mehr als eine Gedenkstätten-Fahrt. Seit seiner Gründung im Jahre 2009 haben wir mit unseren Teamerinnen und Teamern über 2000 Schülerinnen und Schüler nach Polen begleitet. Die Erfahrungen vor Ort haben sie nachhaltig geprägt. Viele von ihnen engagieren sich heute aktiv gegen Rassismus und jede Form von Diskriminierung. Dies gibt mir Kraft und Hoffnung.
Auch im 2. Durchgang - das erste Mal durfte ich die Fahrt 2015 begleiten - wieder ein beeindruckendes Erlebnis. Ältere und ehemalige SchülerInnen unterrichten und begleiten SchülerInnen der Einführungsphase in Krakau und Auschwitz in ihrer Auseinandersetzung mit dem Holocaust und dies sowohl in informativer als auch emotionaler Hinsicht. Das gemeinsame Gespräch als auch das Begehen der Gedenkstätten hinterlassen bei mir einen bleibenden Eindruck. Chapeau an unsere SchülerInnen. Emotionaler Höhepunkt war für mich persönlich das Zeitzeugengespräch mit Frau Włodarczyk, die das Lager in Auschwitz-Birkenau überlebte. Ihre ungebrochene positive Ausstrahlung und ihre Mahnung, aus der Historie zu lernen, haben mich tief beeindruckt. Aus meiner Sicht ist diese Fahrt ein unverzichtbarer Bestandteil für die SchülerInnen am Adolfinum.
Bei der Polenfahrt geht es um weitaus mehr, als den Zusammenhalt der Stufe zu stärken, indem man gemeinsam eine Woche wegfährt. Im Mittelpunkt steht nämlich die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit. Ich persönlich denke, dass die Fahrt dafür gesorgt hat, dass ich ein besseres Verständnis für die Epoche, aber auch für Menschen, die Leid erfahren müssen, bekommen habe. Dadurch nehme ich das Thema noch deutlich ernster als schon zuvor.
Die Fahrt hat so viel mehr geboten, als es der normale Schulunterricht je tun könnte und ich bin dankbar an diesem Projekt teilgenommen zu haben. Die gewonnenen Eindrücke werde ich nie wieder vergessen und ich möchte alles daransetzen, dass sich dieser Teil der Geschichte nicht wiederholt.
Besonders bewegt hat mich der Gang durch die Gedenkstätten. Es war so surreal - als würde man durch eine Geschichte laufen, die es nur in einem schrecklichen Film gibt. Ich bin überwältigt. Dabei kann ich mich nur fragen, wie Menschen anderen Menschen sowas antun können. Diese Orte wurden gebaut, um zu töten. Und das kann ich nicht verstehen. Jetzt, nachdem ich da war, muss ich daran zweifeln, ob Menschlichkeit wirklich in jedem Menschen steckt. Dabei macht uns gerade diese uns zu Menschen.
Ich bin schon zum zweiten Mal vor Ort gewesen, aber ich denke, dass es nicht weniger eindrucksvoll wird, je öfter man das Ausmaß und die Auswirkungen dieser Schreckensherrschaft sieht. Am eindrucksvollsten für mich war jedoch das Zeitzeugengespräch, in welchem wir die Geschichte eines damals 11-jährigen Mädchens gehört haben, das im KZ Auschwitz gequält und später von sowjetischen Soldaten befreit wurde. Die sowieso schon grausame Geschichte des Holocausts, verbunden mit persönlichen Schilderungen, erzeugte bei vielen von uns eine große Emotionalität.
Text: Matthias Alfringhaus (NRZ)
NRZ-Artikel vom 23.06.2023
Ergänzt mit Fotos von Simon Krenz (Teamer)
— [Daniel Heisig-Pitzen]